Gedanken und Worte, warum die Kartoffel ein Wunder Gottes ist, und deshalb Anlass ist, Gott zu loben:
Predigt zur Kartoffel
Die Idee war, hier in der Grillhütte einen Gottesdienst zu feiern. Die Idee war, dort einen Gottesdienst zu feiern, wo in früheren Jahren das Kartoffelfest stattgefunden hat – und ich habe dann vorschnell versprochen, dann gibt es eine Predigt über die Kartoffel… Vielleicht ein bisschen vorschnell. Kurz nachgedacht, wäre mir eingefallen, dass es in biblischen Zeiten gar keine Kartoffeln gab. Wir haben gerade gehört, was Gott dem Volk in der Wüste versprochen hat: Weizen, Gerste und Wein, Feigen und Granatäpfel, Oliven und Honig – aber keine Kartoffeln.
Die Menschen zu Mose kannten keine Kartoffeln. Die Menschen in den Jahrhunderten der Propheten auch nicht. Und auch nicht die Menschen zu Zeiten Jesu oder des Apostel Paulus und der ersten Christenheit. Was vermutlich ich als Schwabe mir besser vorstellenkann als ihr alle als Norddeutsche: Es gab keine Kartoffeln und keiner kannte Kartoffeln.
Nach Europa und sicher auch in den Nahen Osten gelangte die Kartoffel erst nachdem Pizarro im 16. Jahrhundert nach Christi Geburt das Inkareich erobert hatte. Den ersten Kartoffelanbau auf Feldern bei uns in deutschen Gebieten gab es dann wohl am Ende des 30jährigen Krieges von Bauern aus Pilgramsreuth in Oberfranken. Ein Bauer dort hat Saatkartoffeln geschenkt bekommen und angebaut. Bald wurden mehr als 500 Zentner Kartoffeln in dem 400-Seelen-Dorf Pilgramsreuth geerntet – der Hunger hatte ein Ende.
Doch dann hat sich die Kirche eingemischt. Mit wenig Sinn und Verstand, aber der Überzeugung, dass so etwas hier nicht heimisch sein kann. Sie war dagegen! Die Erdfrucht stamme von den südamerikanischen Heiden. Und die Knollen wuchsen im Dunkeln.
1745 erließ der Preußenkönig, Friedrich der Große das Gesetz zum Anbau der Kartoffel in preußischen Gebieten. Den Bauern wurde vorgeschrieben, dass sie mindestens 10 Prozent ihrer Anbauflächen mit der Kartoffel bepflanzen mussten. Wie immer, wenn Regierenden den Landwirten was gesetzlich vorschreiben wollen: Die Landwirte sind dagegen. Friedrich der Große war wenig gesprächsbereit und schickte Soldaten. Diese bewachten die Felder, dass die Bauern nicht in der Nacht die Saatkartoffeln wieder ausgruben. Friedrich II. wollte mit der Kartoffel ein Nahrungsmittel anbauen, das weniger wetterabhängig war als etwa Getreide war. Die Kartoffel ist weder bei der Aussaat noch vor der Ernte abhängig vom Wetter und der Witterung. Aber wie schon gehört: Was der Bauer nicht kennt …
Allerdings gelang es mit dem Kartoffelanbau in Europa die Hungersnöte einzudämmen – und weil die Kartoffeln von Soldaten bewacht wurde, entstand wohl die Mär, dass Kartoffeln ein besonderer Schatz seien.
Ich bin kein großer Liebhaber der Kartoffel, sondern ein echter Spätzlesschwab, trotzdem muss ich anerkennen, dass es außer dem schwäbisch-schlonzigen Kartoffelsalat manches gute Kartoffelessen gibt: Wir essen manchmal Kartoffeln mit Quark viel lieber auch noch mit Hering. Oder auch mit Spinat und Spiegelei und selbst ich habe diese Woche schon Kartoffeln gekocht, weil es Senfeier gab und dazu passen keine Nudeln. Es gibt Salzkartoffeln, Bratkartoffeln, Kartoffelpüree, Kartoffelgratin und für die, die es unbedingt brauchen: Pommes frites.
Ich erinnere mich, dass früher bei uns zu Hause immer Kartoffeln im Keller waren – in einer Kartoffelkiste. Da roch es so besonders, erdig und dumpf. Manchmal begannen die Kartoffeln zu keimen. Geheimnisvolle kleine Luftwurzeln kamen aus den Erdäpfeln. Sie seien giftig, wurde gesagt. Mich haben sie fasziniert. Da wächst etwas ohne Boden, nur weil dann und wann ein wenig Licht darauf fällt. Ich staunte über dieses Wunderwerk.
Die Kartoffel holt sich alles vom Licht, verwandelt Licht in Wachsen – und reift doch im Dunkel der Erde. Sie ummantelt sich mit Staub und Dreck und trägt trotzdem die Sonne im Herzen. Sie gibt sich als Mutterknolle hin für neue Früchte. Sie sättigt Mensch und Tier. Und ist doch bloß eine Kartoffel. Deshalb ist sie ein Wunder Gottes – auch wenn biblische Menschen gar nichts von ihr wussten.
Ich will dich erheben, mein Gott, du König, und deinen Namen loben immer und ewiglich. Ich will dich täglich loben und deinen Namen rühmen immer und ewiglich.
Aller Augen warten auf dich, und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit. Du tust deine Hand auf und sättigst alles, was lebt, mit Wohlgefallen. (aus Psalm 145)
Auch wenn der, der diese Psalmworte gedichtet hat, die Kartoffel nicht gekannt hat – besser könnte se nicht passen. Der Dichter Pablo Neruda kennt die Kartoffel – er kommt als Chilene aus der gleichen Gegend wie die Kartoffel ursprünglich – und er nannte die Kartoffel: "Köstlichkeit, weltumspannend". Wir haben es vorhin zu Beginn des Gottesdienstes gehört. "Köstlichkeit, weltumspannend", weil die Kartoffel eine weltweite Reise und eine unglaubliche Karriere bis in die herausragendste Sternenküche hinter sich hat.
Bei allem Zweifel, der insbesondere in den Kirchen und bei vielen Bauern herrschte, ja bei der Ablehnung mit der Begründung, die Kartoffel sei keine gottgegebene Frucht, irgendwann haben doch alle begriffen: Wichtiges reift nicht über sondern verborgen – und manchmal auch unter der Erde. Und: Man muss die Kartoffel kochen, sie ist nicht roh zu essen. Aber eines bleibt: Die Kartoffel hilft den Hunger in der Welt zu bekämpfen.
Wir Deutschen werden im Unterschied zu den italienischen Spaghettifressern und den aus dem Orient stammenden Knoblauchfressern manchmal als Kartoffel beschimpft – was ich nicht immer verstehe: Ich esse gern Spaghetti, koche gern mit Knoblauch und Kartoffeln dürfen auch mal sein. Aber irgendwie werden deutsche Menschen eng mit dieser Bodenfrucht verbunden. Das eist vielleicht gar nicht schlecht, weil: die Kartoffel hat ja Migrationshintergrund und wenn die Kartoffel, die aus Südamerika stammt, typisch Deutsch ist, dann besteht noch Hoffnung für alles, was wir heute noch als fremd erleben.
Die Kartoffel erzählt deshalb viel vom Glauben – und ich schau auf die Kartoffeln, die hier als Deko ausliegen und denke: Erdäpfel, so wie wir Menschen alle einen Erdapfel bewohnen, der so ungleichmäßig rund ist, wie manche Kartoffel. Alle MenschenErdenKinder leben auf diesem Erd-Apfel. Jedes dieser MenschenErdenKinder ist besonders und eigen und wunderbar unperfekt. Mit Beulen und Dellen. Aber in der Lage zu teilen, zu lieben – eben wie eine Kartoffel.
Amen.