Auf der Kundgebung im Bürgergarten in Hameln, zu der 51 Institutionen, Organisationen und Vereine aufgerufen hatte, hielt die frühere Landesbischöfin - wie sie selbst sagte - eine kleine Rede zur Verteidigung der wunderbaren Demokratie
Wir stehen heute hier, weil wir auch in Hameln für unsere Demokratie eintreten. Demokratie bedeutet: Das Volk übt durch freie Wahlen die Macht im Staat aus. Jeder und jede können ihre Meinung frei äußern. Es gibt unabhängige Gerichte, unabhängige Medien und die Freiheit der Religionsausübung. Wir hängen nicht an ewiggestrigen Fantasien von „Volksdeutschen“. Wir sind zukunftsorientiert. Wir leben zusammen in Vielfalt, in dem es nicht DIE und WIR gibt, sondern UNS, die gemeinsam dieses Land gestalten, das wir lieben. Ja, wir gemeinsam, die aus verschiedener Herkunft gern hier leben, wir sind das Volk. Deutschland ist unsere Heimat. Wir lassen niemanden zwangsdeportieren. Dafür steht unsere Brandmauer.
Meine Großmutter und mein Großvater mütterlicherseits stammen aus Hinterpommern, dem heutigen Polen, die väterlicherseits aus Westfalen. Deshalb bin ich nicht deutscher als andere in meinem Alter. Metin etwa, dessen Eltern einst aus der Türkei hierherkamen, und der längst deutscher Großvater ist. Oder Maryam, die aus dem Iran stammt, Dennis geheiratet und eine kleine Tochter hat. Wir alle sind Deutsche! Was meine Großeltern und Eltern betrifft haben sie sich nach 1945 gefragt, ob sie nicht wachsam genug waren, die üble braune Saat rechtzeitig zu stoppen. Wären sie es gewesen, hätten sie verhindert, dass der Wahnsinn der Nationalsozialisten Millionen Juden ermordet hat – auch Homosexuelle, Sinti und Roma, Kommunisten, Gewerkschafter und viele andere. Europa haben die Nazis mit einem Vernichtungsfeldzug in Schutt und Asche gelegt. Am Ende haben auch unser Land. Jetzt ist es an uns, heute wachsam zu sein und zu verhindern, dass sich das diese Katastrophe wiederholt. Deshalb stehen wir hier.
Ich stehe hier als deutsche Bürgerin:
Wir haben es nach langem Ringen geschafft, ein freies, lebendiges, vielfältiges Land zu werden in einem offenen Europa! Uns wurde die Hand gereicht von Nationen, die wir mit Krieg und Leid überzogen haben. Jeder und jede vierte von uns haben Großeltern oder Eltern, die nicht hier geboren wurden. Aber wir alle lieben dieses Land als unsere Heimat. Klar, das führt manchmal zu Auseinandersetzungen. Aber das ist in jeder Gemeinschaft, in jeder Familie so. Wichtig ist: Nicht Herkunft zählt, sondern Zukunft. Und die gestalten wir miteinander. Wir wollen nicht zurück in ein vermeintlich „rassenreines“ Nazideutschland, sondern gemeinsam mit vielen, mit Juden, Muslimen, Christen, Menschen ohne Religion dieses Land gestalten. Wir wollen eine Definition von Deutschland, die sich nicht mit unseren Großeltern und irgendwelcher Abstammung beschäftigt, sondern mit unserer Zukunft, mit unseren Kindern und Enkeln! Wir wollen zusammenleben in einem fröhlichen, bunten, vielfältigen Land und nicht in der braunen Tristesse derer, die alle ausgrenzen wollen, die nicht aussehen, wie sie. Was füreine gähnende Langeweile würde sich ausbreiten, wenn deutsche Identität nur noch die Identitären wären!
Deshalb sage ich: Es ist an der Zeit, zu zeigen: Wir sind das Volk! Wir, die in Frieden, Vielfalt und Meinungsfreiheit miteinander leben wollen!
Ich stehe hier als evangelische Pfarrerin:
Allzu oft haben wir als Christinnen und Christen versagt. Unsere Kirchen haben Kriege gesegnet, Judenhass gesät und Kindesmissbrauch vertuscht. Wir haben versagt, als die Kirchen sich in der Zeit des Nationalsozialismus nicht schützend vor Jüdinnen und Juden gestellt haben. Als sie Sinti und Roma, Kommunisten, Sozialisten und Homosexuellen keinen Schutz angeboten haben. Unsere Grundbotschaft heute ist glasklar: Jeder Mensch ist Gottes Ebenbild! Wir sind eine Gemeinschaft gleichberechtigter und gleich wertvoller Menschen über nationale Grenzen hinweg. Wir wollen in Frieden leben mit Menschen anderer Religion und ohne Religion. Wir wollen beitragen zu Vielfalt und Miteinander.
Deshalb sage ich: Es ist an der Zeit, dass die Kirchen aufstehen und allen die Hand reichen - und wo nötig Schutz bieten -, die hier in diesem Land in Frieden leben wollen.